Zur Pflichtteilsergänzung beim Wohnrecht

Zur Pflichtteilsergänzung beim Wohnrecht

Das OLG Dresden hat mit Datum vom 30.09.2015, Aktenzeichen 17 U 1338/15, entschieden, dass bei Übertragung des Mit­eigen­tums­anteils des Erblassers an seinem Hausgrundstück auch dann kein Pflichtteilsergänzungsanspruch besteht, wenn der Erblasser sich ein Wohnrecht vorbehalten hat, der Beschenkte das Haus ohne die Zustimmung des Erblassers weder verändern noch veräußern durfte und sich bei der Übertragung die tatsächliche Nutzung durch den Erblasser und den Beschenkten nicht änderte.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Erblasser verstarb 2012 und hinterließ eine Ehefrau sowie zwei Söhne. Alleinerbin wurde die Ehefrau. Bereits im Jahre 1994 hatten die Ehegatten dem Sohn B ihr Hausgrundstück übertragen. In dem Haus wohnten damals die beiden Ehegatten sowie der Sohn B. Im Übertragungsvertrag, der notariell abge­schlossen worden ist, behielten sich die Ehegatten ein Woh­nungs­recht im Erdgeschoss und die Mitnutzung weiterer Räume und des Grund­stückes vor. Der Sohn B durfte das Grundstück umbauen und veräußern, wenn die Ehegatten zustimmten. Ebenso hätte er eine Belastung der Immobilie im Rang vor dem Wohnungsrecht vornehmen können, was aber nicht statt­ge­fun­den hat.

Der pflichtteilsberechtigte Sohn P. machte nach dem Tod des Erblassers seine Pflichtteilsansprüche geltend. Ein notarielles Nachlassverzeichnis wurde in der Auskunftsstufe erstellt. Dies beinhaltete unter anderem, dass die Nutzung nach der Übergabe im Wesentlichen in dem Umfang wie auch schon vor der Über­gabe erfolgte. Während der Nutzungszeit wurde im Einzelnen zumindest noch ein weiteres Zimmer im ersten Obergeschoss zeitweise von dem Erblasser und dessen Ehefrau genutzt. Der pflichtteilsberechtigte Sohn P. beantragte erfolglos, den Wert zu ermitteln. Zudem beantragte er festzustellen, dass die Grund­stücks­übertragung der Pflichtteilsergänzung unterliegt. Die da­rauf­hin ebenfalls eingelegte Berufung blieb erfolglos.

Unstrittig ist, dass der Erblasser seinen Anteil am Grund­stücks­eigentum verschenkt hat. Nach § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB findet keine Pflichtteilsergänzung statt, wenn 10 Jahre vergangen sind, seit der Gegenstand verschenkt wurde. Damit war zu klären, ob eine Leistung im Sinne dieser Vorschrift vorliegt, wenn sich der Erblasser ein Wohnungsrecht an einem Teil des Hauses vor­be­hal­ten hat, das Haus ohne Zustimmung weder umgebaut noch veräußert werden durfte und sich auch sonst durch die Über­tra­gung nichts geändert hat. Das OLG geht davon aus, dass die Ehegatten rechtlich nicht mehr über die Immobilie verfügen konnten. Sie hatten nicht die Möglichkeit, mit ihr nach Belieben zu verfahren und andere davon auszuschließen (§ 903 Satz 1 BGB). Es sei unbeachtlich, dass die Ehegatten das Haus­grund­stück nach der Übergabe im Wesentlichen in dem Umfang nutzten wie zuvor. Offen blieb, dass die Ehegatten diese recht­lichen Erwägungen tatsächlich nicht spürten.

Das OLG Dresden entschied, dass die Ausschlussfrist des § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB abgelaufen ist. Der Gesetzgeber habe deren Fristbeginn auch für Nutzungsvorbehalte belassen, da der Vor­schlag abgelehnt worden sei, § 2325 Abs. 3 BGB dahin­ge­hend zu fassen, dass der Lauf der Ausschlussfrist erst dann beginnt, wenn die vorbehaltenen Nutzungsrechte erlöschen.

Dies sei auch verfassungsrechtlich zulässig, da das Pflicht­teils­recht zwar einen verfassungsrechtlichen Schutz gewährt, dieser aber nur beschränkt ist. Nach der Recht­spre­chung des BGH sind zum Nießbrauch jedoch Wesentlichkeitsbetrachtungen an­zu­stel­len. Diese Rechtsprechung gilt auch für Wohnungsrechte. Da­nach ist zu differenzieren, ob der Eigentums­verlust für den Erb­las­ser ein spürbares Vermögensopfer war oder nicht. Dies hat zur Folge, dass vergleichbare Fälle unterschiedlich bewertet wurden. Der Fristanlauf könne nicht verschoben werden.

Die Entscheidung des OLG Dresden hätte zur Folge, dass in den Fällen, in denen ein Kind mit im Haus der Eltern wohnt, dies die perfekte Möglichkeit wäre, um Pflichtteil- und Pflichtteils­ergän­zungs­ansprüche zu vermeiden. Da das OLG Dresden die Pflichtteilsergänzung prinzipiell stets für ausgeschlossen hält, ermittelte es die tatsächliche Nutzung nicht wirklich. Es bleibt daher abzuwarten, welche Vorgaben der BGH machen wird.

Die verfassungsrechtliche Frage wurde vom OLG Dresden nicht beantwortet. Die Ansicht des OLG Dresdens würde auf eine Gestaltung hinauslaufen, die in bestimmten Fällen das Pflicht­teils­recht im Wesentlichen ins Leere laufen lassen würde, obwohl der Erblasser sich nicht einschränken muss.

Das OLG Dresden hat die Revision zugelassen. Es dürfte interessant sein, wie diese entschieden wird.

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Über den Autor

Christine Gerlach author

Rechtsanwältin in München
Fachanwältin für Erbrecht

Tätigkeitsschwerpunkte:
Erbrecht, Pflichtteilsrecht, Testamentsvollstreckung, Gesellschaftsrecht

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