Die Erbschaftsannahme eines Pflichtteilsberechtigten ist anfechtbar

Die Erbschaftsannahme eines Pflichtteilsberechtigten ist anfechtbar

Der Bundesgerichtshof hat mit Datum vom 29.06.2016, Aktenzeichen IV ZR 387/15, entschieden, dass ein zur Anfechtung der Annahme einer Erbschaft berechtigender Irrtum auch nach der Neufassung des § 2306 Abs. 1 BGB mit Wirkung zum 01.01.2010 vorliegen kann, wenn der mit Beschwerungen als Erbe eingesetzte Pflichtteilsberechtigte irrig davon ausgeht, er dürfte die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren.

Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde. Die Erblasserin setzte ihre Tochter, die jetzige Beklagte, als Miterbin zu 1/4 ein und belastete sie unter anderem zugunsten des Klägers mit einem Vorausvermächtnis. Dieses belastete sie später mit einem Untervermächtnis zugunsten der Tochter. Im Jahre 2012 erlangte die Beklagte Kenntnis von den letztwilligen Verfügungen. Im Juni 2012 focht sie die Versäumung der Aus­schlagungsfrist an und schlug das Erbe aus. Als Anfechtungs­grund wurde angegeben, dass die Beklagte geglaubt habe, dass sie vom Nachlass ausgeschlossen wäre, auch bezüglich der Pflichtteilsansprüche und des Untervermächtnisses, wenn sie ausschlagen würde. Der Kläger hatte beantragt festzustellen, dass die Beklagte Miterbin zu 1/4 geworden ist. Hierauf hat die Beklagte Widerklage beantragt mit dem Inhalt, den Kläger zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung wegen der Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche gemäß der zugleich erhobenen Drittwiderstufenklage gegen die Drittwiderbeklagten in den Nachlass zu dulden. Das Landgericht hatte der Klage statt­ge­ge­ben. Die Beklagte legte Revision ein, die Sache wurde zurück­gewiesen.

Der BGH entschied, dass die Beklagte einem beachtlichen Rechtsfolgeirrtum unterlegen gewesen sei. Die Sonderregeln der §§ 1954, 1955, 1957 BGB für Frist, Form und Wirkung der Anfechtung ändern oder erweitern die Anfechtungsgründe nicht. Es ist ebenfalls als Inhaltsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 Alternative 1 BGB anzusehen, wenn der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte über die Rechtsfolgen des § 2306 BGB geirrt. Somit liege ein beachtlicher Irrtum der Rechtsfolgen des § 2306 BGB, auch nach der Neufassung nach dem 01.01.2010, vor. Irrt der beschwerte Erbe dahingehend, dass er meint, das Erbe annehmen zu müssen, um seinen Pflichtteilsanspruch nicht zu verlieren, ist es möglich, die Annahme des Erbe anzufechten. Ist der Erbteil größer als der Pflichtteil der den Erben jedoch beschränkt oder beschwert, führt dessen Annahme dazu, dass der Erbe die ihm zugedachte Rechtsstellung annimmt. Er verliert hierdurch jedoch das Wahlrecht gemäß § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB, sich für den gegebenenfalls dem Wert nach günstigeren Pflichtteilsanspruch zu entscheiden.

Der Erbe muss auch weiterhin bei der Ausübung des § 2306 BGB abwägen, ob er das Erbe ausschlägt. Ein beachtlicher Rechts­folge­nirrtum ist hier möglich.

Somit hat der BGH einen wichtigen Streit entschieden. Seit der Neufassung des § 2306 Abs. 1 BGB wurde teilweise in der Literatur vertreten, dass ein beachtlicher Irrtum über die Reichweite desselben nicht mehr bestehen würde. Der BGH hat sich mit dieser Entscheidung wohl der herrschenden Meinung angeschlossen, dass weiterhin ein beachtlicher Irrtum möglich ist.

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Über den Autor

Christine Gerlach author

Rechtsanwältin in München
Fachanwältin für Erbrecht

Tätigkeitsschwerpunkte:
Erbrecht, Pflichtteilsrecht, Testamentsvollstreckung, Gesellschaftsrecht

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